Irgendwann wachst du auf, und es ist alles nur ein böser Traum gewesen.
Irgendwann wachst du auf, und kannst so viel essen, ohne direkt an Mathe denken zu müssen.
Irgendwann wachst du auf, und musst dich nicht mehr fünf Mal am Tag selbst spritzen.
& irgendwann wache ich auf, und ich muss keine Angst mehr um meine gesundheitliche Zukunft haben: Wo bekomme ich mein Insulin her? Wer zahlt es? Wird mich die Krankenkasse annehmen? Wer setzt mir, im Falle einer schweren Hypoglykämie, die lebensrettende Spritze und holt mich zurück? Warum kann man nicht einfach Bauchspeicheldrüsen transplantieren und es funktioniert wieder alles einwandfrei?
Hätte man es vorbeugen können? Hätte man es ahnen können? Seit wann schlummert diese tödliche Krankheit in mir? Was, wenn ich vor 80 Jahren gelebt hätte, das wäre mein Todesurteil gewesen. Wäre mein Leben ganz anders verlaufen, wenn man es früher bemerkt hätte? Hätte, hätte, Fahrradkette.
Ist das Leben jetzt überhaupt noch lebenswert? Wie kann ich jemals das Essen genießen, wenn der erste und wichtigste Gedanke nur das Insulin ist? Werde ich denn jemals wieder essen können, ohne an Zahlen, Dreisatz und Konsequenzen denken zu müssen? Was passiert, wenn ich die Mahlzeit unter- oder sogar überschätzt habe? Warum ist es so unangenehm, in einem Restaurant nach der Menge des Reis oder der Nudeln zu fragen? Was soll dieser Blick? Kann man nicht einfach kurz in der Küche nachfragen und es mir nicht noch unangenehmer machen, als es eh schon ist?
Wieso darf ein gut eingestellter Mensch* nicht mehr den Beruf eines Piloten oder Stewardess ausführen? Es kann doch jedem passieren, dass er in Notfallsituationen plötzlich nicht richtig reagieren kann – was hat das mit meiner kaputten Bauchspeicheldrüse zu tun? Wieso muss ich wegen dieser Krankheit jetzt meinen Traum aufgeben? Und wieso bekomme ich dann nicht einmal den mir zustehenden Behinderungsgrad angerechnet?
Ich darf bestimmte Dinge nicht mehr tun, aber bekomme keine Entschädigung für Stunden beim Arzt, Stunden des Berechnen, des Spritzens. Bekomme die Anerkennung für meinen täglichen Kampf nicht – nur die abwertenden Reaktionen auf die Krankheit „Diabetes“.
Es liegt nicht am meinem Handeln! Ich konnte es doch nicht aufhalten, oder etwa doch? Warum bestraft ihr mich mit Sätzen wie, „Dann musst du jetzt einfach mehr Sport machen und dich fit halten. Dann wird das wieder.“
Verdammt! NEIN! Es wird nicht wieder!
Warum ich?
Ein kurzer Auszug aus meinen Gedanken, die mich täglich beschäftigen.
*unter „gut eingestellt“ versteht man Patienten, die ihren Blutzuckerwert im Rahmen des „Normalen“ halten und gut auf plötzlich auftretende Situationen (z.B. Über- /Unterzuckerung) reagieren können. Die Faktoren entsprechen der benötigen Insulinmenge und er erfährt keine weiteren Einschränkungen im Alltag, als ein gesunder Mensch es tut.
Beitragsbild: Diabetes.co.uk